Ernst Vollrath

Hannah Arendt bei den Linken 1

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Gewiß, links, die Linke und die Linken, das sind nicht gerade Konzepte von trennscharfer analytischer Kapazität. Immerhin bezeichnen sie auch Selbstbenennungen, die sich zudem als Auszeichnungen verstehen. Man wird in bezug auf die Gruppe der unorthodoxen Linken, die hier in ihrem Verhältnis zum Denken Hannah Arendts in den Blick genommen werden sollen, von Wittgensteinschen Familienähnlichkeiten sprechen dürfen, und dann handelt es sich um solche, für die der liberale Rechtsstaat faktisch nichts anderes betreibt als eine Minoritätendemokratie auf der Basis einer sozialen Hierarchie. Jedenfalls war das einmal so. Aber nun, nach dem Zusammenbruch, der Implosion, dem Kollaps der Regime des real existierenden Sozialismus, was tun? - theoretisch natürlich nur! Es sei gerne zugestanden, daß die unorthodoxe Linke niemals irgendwelche Sympathien für die Realität dieses Sozialismus gehabt hat. Wohl aber für seine Idealität! Aber auch die ist in schwere Bedrängnis geraten. »Die nicht-kommunistische Linke hierzulande hat keinen Grund, in Sack und Asche zu gehen, aber sie kann auch nicht so tun, als sei gar nichts passiert.«2 Bei dieser nachholenden Reflexion ist die Linke nun auf Hannah Arendt gestoßen (das trifft nicht auf den eben zitierten Jürgen Habermas zu, der gesondert abgehandelt werden wird), und zur nicht geringen Verwunderung trifft man neuerdings auf Kongressen und Tagungen zu Hannah Arendt ihre Vertreter an, die freimütig bekennen, sie hätten den Dialog mit dem Denken von Hannah Arendt »verweigert«. 3 Das wurde auf einer Tagung zu Hannah Arendt im Sommer 1992 gesagt. Aber Ähnliches wurde von Helmut Dubiel, einem Angehörigen der dritten oder vierten Generation der »Kritischen Theorie«, auf einem 1991 vom Deutschen Historischen Institut in Washington/D.C. an der University of Colorado at Denver organisierten Kongreß formuliert. 4
Und ein Autor, der es nicht für unrichtig halten wird, wenn man ihn zur Verwandtschaft rechnet, Michael Th. Greven, zählt durchaus richtig die Gründe für diese »Dialogverweigerung« auf:
»Seit den Sechzigern war Hannah Arendt für die Oppositionsbewegungen des Westens in dem Sinne, in dem es Marx über Hegel gesagt hatte, eine tote Hündin. Das hat wohl die folgenden drei Gründe: Erstens, ihre Totalitarismustheorie, die auf strukturelle Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten zwischen Nationalsozialismus und sowjetischem Sozialismus bei der Verletzung der Menschenrechte und der Vernichtung des Politischen und damit der Freiheit abzielte, war in den Augen der meisten Oppositionellen die falsche Gleichung (H. Grebing), 5 weil dabei angeblich unterschlagen wurde, daß im Marxismus-Leninismus beziehungsweise der angestrebten Gesellschaftsform des Kommunismus ein positiver humanitärer Anspruch stecke, während der europäische Faschismus und insbesondere der deutsche Nationalsozialismus lediglich eine Machtform des Nihilismus gewesen seien. Zweitens war Hannah Arendts Theorie in den Augen dieser Kritiker eine rein politische Theorie, die, weil sie, um es mit dem berühmten und in der deutschen Studentenbewegung strapazierten Gedanken von Max Horkheimer zu sagen, vom Kapitalismus nicht reden wollte, auch im Bereich des Politischen keine Attraktivität besaß; dies galt insbesondere für den marxistischen Teil der intellektuellen Opposition, für die die Kritik am Kapitalismus im Vordergrund stand und die Einforderung radikaler demokratischer Partizipation eher einen taktischen Sinn hatte. Und drittens schließlich verstieß Hannah Arendts normativ-ontologischer Ansatz, ihre auf Tugend begründete Handlungstheorie, gegen das historisch-materialistische Credo von strukturalistischen Krisen- und Entwicklungskonzepten.6

Wie auch immer die einzelnen Momente ausformuliert worden sind, im Kerne ist die Analyse richtig.
Nun also ist, nach dem Tode von Marx oder zumindest nach der Verendung des real existierenden Sozialismus, die »tote Hündin« Hannah Arendt zu einer bevorzugten Gesprächspartnerin der Linken geworden. Die Assimilation von Momenten von Hannah Arendts Denken kündigte sich schon früh an, als ein Verlag, der der linken Szene nahesteht, anfing, Texte von Hannah Arendt zu drucken, und andere ihm darin folgten. 7 Dazu zwei Bemerkungen. Einmal ist der Zugang zum Werk Hannah Arendts dadurch erschwert, ja zersplittert, daß nun mehrere Verlage sich um es bemühen, ihr Hauptverlag und eine eng zusammengehörende Gruppe von anderen Verlagen. Von den großen Gestalten der deutschen Emigration ist sie nach dem 2. Weltkrieg ohne die Herausgabe ihres Gesamtwerkes geblieben. Ein Versuch dazu blieb in den siebziger Jahren in persönlichen Eifersüchteleien und Mißverständnissen stecken, obwohl eine deutsche Stiftung Interesse gezeigt hatte, das Projekt zu finanzieren. Die veröffentlichten Sammlungen kleinerer Texte von Hannah Arendt, die sonst in Deutschland schwer zugänglich wären, sind durchaus verdienstvoll. Diese Texte sind aktualitätsbezogen, nämlich auf Tagesfragen jener Zeit, in der sie verfaßt wurden. Sie behalten auch heute eine Aktualität, aber eben keine unmittelbare mehr. Werden sie ohne Bezug auf ihren Kontext herausgegeben, liegt der Gedanke nicht ferne, daß sie zu heutigen Zwecken mediatisiert werden sollen.
Wie aktuell auch heute grundlegende Einsichten von Hannah Arendt sind, zeigt sich unter anderem daran, daß ein ehemaliges Mitglied der DKP die Protokolle einer Sitzung deutscher Schriftsteller während der Moskauer Prozesse herausgab, und in einer beigegebenen Einleitung den Verrat der Intellektuellen aneinander mit der Phänomenologie des Totalitarismus bei Hannah Arendt zu interpretieren unternahm. 8 Hatten denn nicht Linke Hannah Arendt einstmals als Kalte Kriegerin beschimpft, weil sie es gewagt hatte, den nationalsozialistischen und den sowjetischen Totalitarismus zusammenzustellen? 9 Und war nicht ihr Denken von einem Sympathisanten als faschistoid verunglimpft worden? 10 Und nun auf einmal ist sie eine Hauptautorin der Linken! Gewiß: Hannah Arendts originelles Denken wird stets dann zum Anstoß genommen, wenn das Obsoletwerden traditioneller Kategorien des politischen Denkens eingesehen ist. Aber daß sich ausgerechnet die Linke heute affirmativ auf dieses Denken beruft: oh quae mutatio rerum.

I.

Die Ausnahme hat natürlich Jürgen Habermas gebildet, der sich schon vor dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus und der, sagen wir es vornehm, Krise auch des westlichen, zumal des westdeutschen intellektuellen Marxismus affirmativ auf Momente ihres Denkens bezogen hatte. In einem seiner frühesten Texte »Die klassische Lehre von der Politik in ihrem Verhältnis zur Sozialphilosophie« behauptete er sogar: »Das Studium von H. Arendts bedeutender Untersuchung (nämlich der Vita activa, E. V.) und die Lektüre von G. Gadamers Wahrheit und Methode (Tübingen 1961) haben mich auf die fundamentale Bedeutung der Aristotelischen Unterscheidung von Technik und Praxis aufmerksam gemacht.« 11 Dieses Bekenntnis hebt sich von seiner vorher vertretenen außerordentlich kritischen Haltung gegenüber dem Denken von Hannah Arendt ab, wie sie unter Linken damals durchaus üblich war.
Habermas war 1967-68 Inhaber des Theodor-Heuss-Lehrstuhls an der Graduate Faculty of the New School in New York City und war dort mit dem Star dieser Institution bekannt geworden, eben mit Hannah Arendt. Er gab die kritische Haltung gegenüber Hannah Arendt, die er noch 1966 gegenüber ihrer These vom politisch geprägten Vorrang der amerikanischen vor der französischen Revolution geübt hatte, 12 auf und assimilierte Momente ihres Denkens, jedenfalls so, wie er dies verstand. Die anscheinend so plausible Differenzierung dreier Tätigkeitsweisen, die Hannah Arendt vorgenommen hatte, nämlich das Arbeiten, das Herstellen und das Handeln, die Habermas in sein Verständnis von strategisch-instrumentellem Handeln einerseits und kommunikativem Handeln andererseits hineinspiegelt, ist allerdings, wenn überhaupt, nur analytisch brauchbar. Hannah Arendt ist sich dessen bis zu einem gewissen Grade auch bewußt, so wenn sie sagt: »Im Sinne von Initiative - ein initium setzen - steckt ein Element von Handeln in allen menschlichen Tätigkeiten«; 13 oder noch deutlicher: Es gibt »ein Element des Handelns in allen menschlichen Tätigkeiten, die mehr sind als bloße Reaktion«. 14 In der phänomenalen Synthesis, die das Handeln in Wirklichkeit ist, ist die Differenzierung nicht auszumachen. Auf sie läßt sich eine substantielle Auszeichnung bestimmter Handlungssorten nicht gründen.
1977 veröffentlichte Habermas in der Gedenkausgabe der Zeitschrift Social Research einen Aufsatz, der in geradezu klassischer Weise seine Fehlinterpretation von Hannah Arendt dokumentiert: »Hannah Arendt's Communications Concept of Power«. 15 »This is a breathtaking piece, for what Habermas does is to translate Arendt's concepts into his own terminology, read his own theory into them, and then, when forced to recognize that their conclusions are different from his, accuse her of failing to realize the implications of her own theory.« 16 Auf keinen Fall handelt es sich bei Hannah Arendts Theorie der Macht und des politischen Handelns um eine Kommunikationstheorie in dem Sinne, den Habermas damit verbindet. 17 Sie war vielmehr, ganz gegen seine Annahmen, der Ansicht, daß man nicht einer Meinung, ja noch nicht einmal eines Willens sein muß, um gemeinsam handeln zu können, und daß die kommunikative Zubereitung zu einer gemeinsamen Meinung und einem einheitlichen Willen geradezu daran hindert, etwas gemeinsam zu tun. Der Grund der irrtümlichen Interpretation bei Habermas ist die ständige Verwechslung von Handeln und Reflexion.
Zu einer geradezu abenteuerlichen Fehlinterpretation kommt es in dem neuesten Buch von Habermas: »Faktizität und Geltung«. 18 Dort heißt es:
»Eine ganz andere Perspektive öffnet sich mit dem diskurstheoretischen Begriff von politischer Autonomie, die erklärt, warum für die Erzeugung legitimen Rechts die kommunikativen Freiheiten der Bürger mobilisiert werden müssen. Diese Erklärung macht die Gesetzgebung von der Generierung eines anderen Typs von Macht abhängig - nämlich von jener kommunikativen Macht, von der Hannah Arendt sagt, daß sie niemand eigentlich besitzen könne: Macht entsteht zwischen Menschen, wenn sie zusammen handeln, und sie verschwindet, sobald sie sich wieder zerstreuen. 19 Nach diesem Modell entspringen Recht und kommunikative Macht gleichursprünglich der Meinung, auf die sich viele öffentlich geeinigt haben20
Sieht man die von Habermas angegebene Stelle bei Hannah Arendt nach, 21 dann muß man feststellen, daß sie dort keineswegs den gleichursprünglichen Ursprung von Macht und Recht aus der »Meinung, auf die sich viele öffentlich geeinigt haben« behauptet, sondern allein von dem »Übereinkommen .... zwischen Menschen, die verschiedener Meinung sind«, spricht, aus dem die Macht herkommt. Und für die von ihr so hoch geschätzte US-Verfassungsgebung, die für sie das Modell einer gelingenden Verfassungsgebung schlechthin darstellte, weist sie ausdrücklich darauf hin, »daß niemand auch nur auf die Idee kam, Gesetz und Macht aus der gleichen Quelle abzuleiten. Der Ort der Macht wurde ins Volk verlegt, aber die Quelle aller Gesetze sollte die Verfassung werden, ein Schriftstück und Dokument, etwas Objektives, das man zwar so oder anders interpretieren und je nach Umständen abändern und erweitern konnte, das aber niemals ein subjektiver, ephemerer Gemütszustand sein konnte, wie der sogenannte Volkswille, der sich in Wahlen äußert und in Befragungen der öffentlichen Meinung erkundet werden kann.« 22
Der institutionelle Konstitutionalismus von Hannah Arendt, der bei der linken Interpretation ihres Denkens nicht nur von Habermas ständig übersehen wird, schließt die Deutung, die Habermas vorlegt, als irrig aus. Die Identifikation des Ursprungs der Macht und der Quelle des Rechts ist für Hannah Arendt ein totalitäres Motiv.
Habermas stopft die Lücken, die sich in seinen Theorieentwürfen wegen ihres Mangels an einem integren Verständnis des Politischen auftun, durch den Anbau von Theoriemomenten anderer Herkunft: die Hermeneutik Gadamers, die Diskurstheorie Apels, die Systemtheorie Luhmanns, den Fallibilismus Poppers und Alberts, die analytische Sprachphilosophie, schließlich die Phänomenologie des Politischen von Hannah Arendt. Aber das »black hole«, aus dem diese Lücken immer wieder hervorbrechen, der Mangel einer Theorie der politischen Urteilskraft im Sinne Hannah Arendts, läßt sich so nicht ausfüllen. Habermas geht von einer Objektivität der Idee, d.h. der Theorie, aus, die er wiederum durch Theorie, wahrheitsfähige oder wahrheitsanaloge, 23 zu erweisen sucht. Hannah Arendt dagegen hat sich das Konzept der Meinung der anglo-amerikanischen politischen Wahrnehmung zu eigen gemacht.

II.

Während also bei Habermas die Beschäftigung mit dem Denken von Hannah Arendt dem Kollaps des real existierenden Sozialismus vorausging, sind die anderen deutschen Linken erst nach diesen Ereignissen darauf gestoßen. Es dient ihnen zur Revision ihrer traditionellen Vorstellungen, und das ist schließlich eine authentische Art, mit ihrem Denken umzugehen. Allerdings muß dieser Umgang sich ausweisen lassen. Hannah Arendt selbst stand der Neuen Linken im Westen skeptisch gegenüber und hielt sie politisch für illusionär. Zur älteren Kritischen Theorie war ihr Abstand noch größer. Was sie über einen der Protagonisten, Theodor Wiesengrund Adorno, dachte, mag man in ihrem Briefwechsel mit Karl Jaspers nachlesen.
Das Sich-Einlassen der deutschen Linken auf das Denken von Hannah Arendt hat eine Vorgeschichte - oder eigentlich zwei, eine anglo-amerikanische und eine französische, und man muß beide Vorspiele in den Blick fassen, um die Geschichte verstehen und beurteilen zu können. Das amerikanische Vorspiel beginnt mit heftigen gegenseitigen Attacken. Dabei ging es vielfach um das Verhältnis von Habermas zum Denken von Hannah Arendt. Ein Schüler Hannah Arendts, Melvyn A. Hill, eröffnete die Debatte mit einem Essay, der einen provokativen Titel trug: »Jürgen Habermas: A Social Science of the Mind«. 24Der Haupteinwand, den er gegen Habermas ganz im Sinne von Hannah Arendts Grundstellung vorbringt, ist der: »The urgency of events, their glory and shame, and the mortality that colour experience, disappear, as the immortality of the species renders them insignificant, and the world as the place we build and maintain in order to make our human life possible, fades out into the universe of consciousness.« 25 In Kürze: »Habermas reduce(s) praxis to theory.« 26
Einen ähnlichen Einwand bringt die Engländerin Margaret Canovan vor. 27 Ihr Thema sind ausdrücklich die Interpretationen, die Habermas dem Machtkonzept Hannah Arendts hat zuteil werden lassen, und sie nennt diese Interpretationen Entstellungen (distortions): »because they substitute talking for acting, consensus for disagreement, and unity for plurality in politics«. 28 Die Unvereinbarkeit der Positionen von Hannah Arendt und Habermas wird schroff auf den Punkt gebracht:
»What (people) can share is not convictions that are identical inside all their individual minds, but a common world of institutions outside them and that all support by their actions. This is why Arendt used what Habermas calls the antiquated notion of contract, or mutual agreement, to support political institutions. Her point was that although free individuals are too inescapably plural ever to concur spontaneously in their opinions and projects, what they can concur in is their support for a common set of worldly institutions. They can be united, not because they all think alike in the inner realm of their minds, but because outside in the world they all inhabit the same public space, acknowledge its formal rule, and are therefore committed to achieving a working compromise when they differ. For among people who share a common world of institutions, unanimous conviction is not necessary for practical agreement. Where there is a mutual committment to the continuance of the same public world, differences can be settled through purely political means.« 29
Das ist zweifellos eine vollkommen richtige Darstellung der Position von Hannah Arendt. Sie geht zurück auf das Grundprinzip der anglo-amerikanischen politischen Apperzeption, so wie es sich unter anderem im Federalist ausspricht: »When men exercise their reason cooly and freely on a variety of distinct questions, they inevitably fall into different opinions on some of them. When they are governed by a common passion, their opinions, if they are so be called (my italics!), will be the same.« 30 Auf die absurde Idee, im Politischen die Einmütigkeit der einen Meinung aller durch theoretische Reflexion zu erzeugen, wären die Verfasser des Federalist niemals verfallen. Hannah Arendt hat sich ausdrücklich auf diese grundlegende Einsicht bezogen. 31
Schon vor dieser Auseinandersetzung hatten sich zwei Arendt-Anhänger kritisch auf die Auslegung ihres Denkens, zumal ihres Machtkonzepts, durch Habermas bezogen. 32 Auch hier ist der Einwand gegen das gerichtet, was die Verfasser so nennen: »The philosophic prejudice against politics embedded, almost subliminally, at the very foundation of Critical Theory.« 33 Das forderte eine empörte Antwort von John Forester heraus, 34 auf die wiederum M. Stolz und G. P. Heather antworteten. 35
Schließlich kam es zu einer außerordentlich aggressiven Attacke von Martin Jay, der eine bekannte Theoriegeschichte der Frankfurter Schule verfaßt hat, auf Hannah Arendt. Sein Essay »The Political Existentialism of Hannah Arendt«, auf den sich schon G. P. Heather und M. Stolz bezogen hatten, erschien (ohne diesen Titel) zusammen mit einem Gegenartikel von Leon Botstein, dem Präsidenten des Bard-College, an dem Hannah Arendts zweiter Mann, Heinrich Blücher, bis zu seinem Tode gelehrt hatte. 36 Jay brachte es fertig, aus ungenügender Kenntnis der deutschen kulturellen Situation Hannah Arendt mit Alfred Baeumler und Carl Schmitt in eine faschistische Reihe politischer Existentialisten zu stellen und ihr auch sonst noch alle möglichen Vorwürfe des Antirationalismus, Dezisionismus und Subjektivismus zu machen. Leon Botsteins Erwiderung ist schroff: »an outrageous and glib claim«. 37 Jays spätere Zurücknahmen seiner unsinnigen Identifikationen fallen lahm aus. 38
Es gibt auch weit weniger konfrontative Auseinandersetzungen mit dem Denken von Hannah Arendt bei linken Sympathisanten, auf die wenigstens hingewiesen werden soll. 39 Die ganze anglo-amerikanische Thematik der linken Beschäftigung mit dem Denken von Hannah Arendt ist in der Bundesrepublik Deutschland weitgehend unbeachtet geblieben.

III.

Anders dagegen verhält es sich mit der Aufnahme von Motiven dieses Denkens bei ehemaligen französischen Marxisten. Aus der Aufnahme wiederum dieser französischen Aneignung haben Angehörige der dritten oder vierten Generation der Frankfurter Schule ein Konzept entwickelt, auf das in diesem Zusammenhang eingegangen werden soll. Doch zunächst soll die französische Seite vorgeführt werden, wenn dies auch nicht in aller Ausführlichkeit und Vollständigkeit geschehen kann. In Frankreich, wo der Marxismus teilweise in einer weit weniger unorthodoxen Gestalt als in der Bundesrepublik vorherrschte, hing der Zusammenbruch des intellektuellen Marxismus mit dem Erscheinen von Alexander Solschenizyns Archipel Gulag zusammen 40 - natürlich nicht ausschließlich. Jedenfalls wurde zunehmend auch für die französische Linke der totalitäre Charakter der kommunistischen Regime offenkundig, und die Konfrontation mit dieser Einsicht führte zu einer Revision grundlegender Annahmen bei einer Gruppe dieser Linken. Dabei spielt nun die sehr emphatische Aufnahme von breiten Motiven und Momenten des Arendtschen Denkens eine bedeutende Rolle.
Die Aufnahme von Hannah Arendt in Frankreich erfolgte relativ spät. Zwar hatte Raymond Aron schon 1954 auf ihr Totalitarismus-Konzept aufmerksam gemacht. 41 Aber diese liberale Auslegung hatte seinerzeit wenig Eindruck auf die Linke gemacht. Sie war eigentlich für sie damals inakzeptabel.
Das änderte sich mit der seit der Ungarischen Revolution von 1956 langsam wachsenden Einsicht in den totalitären Charakter des Regimes und dem Beginn einer intellektuellen Auseinandersetzung, die sich mit dem Erscheinen von Solschenizyns Buch verstärkte. Alles das führte schließlich zum Ansatz einer Neubestimmung des Politischen in seiner Originalität, und zwar aus seinem äußersten Gegensatz, dem absolut Unpolitischen des Totalitarismus, eine Neubestimmung, bei der Hannah Arendts politischem Denken eine befreiende Wirkung und eine überaus große Bedeutung zukam. An diesem Unternehmen sind eine Reihe von französischen Theoretikern des Politischen beteiligt, unter anderem Marcel Gauchet, Cornelius Castoriadis und Claude Lefort.
Hier werden die Schriften von Lefort beigezogen, weil sich bei ihm der Neuansatz einer Theorie des Politischen und der Einfluß von Hannah Arendt am besten darstellen läßt. 42 Auch dabei können nur Hinweise gegeben werden. Es sind zwei auf das Engste zusammengehörige Komplexe, die bei Lefort im Thema stehen. Der eine ist die Rekonstruktion eines integren Verständnisses des Politischen (Die Vokabel le politique ist seit Julien Freunds Buch L'essence du politique von 1965 in der französischen Diskussion gut eingebürgert!). Dieses Politische erfüllt sich für Lefort in der gewaltenteiligen, menschen- und grundrechtsgegründeten und repräsentativen Demokratie, die er gegen die Intentionen etwa der deutschen Linken in einem weit verstandenen - so daß er sowohl R. Aron als auch Hannah Arendt darunter rechnen kann 43 - liberalen Sinn auslegt. Diese Demokratie ist der politische Gegenentwurf gegen die absolute Apolitie des Totalitarismus, der doch alles und jedes zu politisieren scheint. Dabei gelingt Lefort eine außerordentlich überzeugende politische Bestimmung des Totalitarismus, sozusagen ein politischer Begriff des absolut Unpolitischen. Beide Konzepte, sowohl das des erfüllt Politischen der Demokratie als das der absoluten Apolitie des Totalitarismus, sind bei Lefort unter dem vollkommen akzeptierten Horizont des Denkens von Hannah Arendt verfaßt.
Es handelt sich nach diesem Begriff des Totalitarismus um zwei identitätsrepräsentative Inkorporationen, die totalitär zusammenfallen. Die eine sieht so aus: »Une logique de l'identification est mise en oeuvre, command‚e par la repr‚sentation d'un pouvoir incarnateur. Le proletariat ne fait qu'un avec le peuple, le Parti avec le proletariat, le bureau politique et l'‚gocrat, enfin, avec le Parti.« 44 Im übrigen ließe sich diese Identitätsreklamation auch bei dem nationalsozialistischen Totalitarismus zeigen. Genau dies wird gleichfalls von Hannah Arendt, auf die sich Lefort bei seinen Analysen ja bezieht, als wesentliches Strukturmerkmal herausgearbeitet, wenn sie eine Selbstaussage Hitlers vor seinen Kohorten: Alles, was ihr seid, verdankt ihr mir, alles, was ich bin, verdanke ich euch, so kommentiert:
»Die totale Herrschaft (schafft) gerade den Unterschied zwischen Herrschern und Beherrschten ab und erzielt einen Zustand, in dem das, was wir unter Macht und Willen zur Macht verstehen, gar keine oder eine geringe Rolle spielt. Der totale Führer ist wirklich nichts als ein Exponent der von ihm geführten Massen; er ist nicht ein machthungriges Individuum, das seinen Untertanen einen willkürlichen Willen tyrannisch auferlegt. Als Exponent ist er jederzeit ersetzbar und hängt von dem Willen der Massen, die er verkörpert (sic!), ebenso ab wie die Massen von ihm, ohne den sie körperlos bleiben werden. Ohne den Führer sind die Massen ein Haufen, ohne die Massen ist der Führer ein Nichts.« 45 Hier ist die Inkorporationsstruktur, die Lefort seinem Totalitarismusbegriff zugrunde legt, vorgeprägt. Lefort bezieht sich bei seiner Analyse der totalitären Struktur zusätzlich auf ein bedeutendes Werk von Ernst Kantorowicz, der wie Hannah Arendt in die USA flüchten mußte und dort mit den Erfahrungen konfrontiert war, die aus der anglo-amerikanischen politischen Apperzeption stammen: The King's Two Bodies. 46
Es gibt aber noch eine andere Identifikation, und erst deren Zusammenfall mit der zuerst vorgeführten vollendet nach Lefort den Begriff des Totalitarismus als den der absolut unpolitischen Politik und politischen Unpolitik. Sie wird so angeführt: »Il s'opère une condensation entre la sphère du pouvoir, la sphère du loi et la sphère du savoir.« 47 Die Identifikation der Sphären von Recht, Macht und Wissen ist das totalitäre Syndrom der absoluten Apolitie. In diesem entscheidenden Aspekt, nämlich dem politischen, sind für Lefort die Demokratie und der Totalitarismus absolut entgegengesetzt, eine Entgegensetzung, welche die politische Differenz genannt werden kann, sofern sie ganz prinzipiell politisch qualifiziert gesetzt ist. Für die Konzeptualisierung von Demokratie und Totalitarismus bei Lefort ist das unter dem Einfluß von Hannah Arendt sich vollziehende Bedenken der politischen Differenz von grundsätzlicher Bedeutung, und ohne dies zu beachten, würde der Sinn seiner Fragestellung vollkommen verfehlt. Es ist im übrigen leicht vorstellbar, wie von einem solchen Konzept her ein Denken beurteilt werden kann, welches stolz darauf ist, endlich theoretisch einleuchtend gezeigt zu haben, daß und wie der Ursprung der Macht und die Quelle des Rechts identisch sind, und das auch noch die Herkunft eines originären Wissens von dieser Identität in die gleiche Struktur legt. Ein solches Denken weiß in bezug auf das Politische nicht, was es tut!

IV.

Stark verkürzte Momente dieser Konzeption von Lefort und Hannah Arendt sind von Anhängern von Jürgen Habermas aufgegriffen worden, 48 und sie haben sich dabei von ihm leise distanziert, worauf er reichlich gereizt reagierte. 49 Das Autorenkollektiv beansprucht zwar, jetzt das Totalitarismus-Konzept positiv, auch in bezug auf die realsozialistischen Regime, aufgenommen zu haben. Aber es geht seiner bei Lefort durch die Vermittlung von Hannah Arendt zustande gekommenen begrifflich präzisen Fassung sorgfältig aus dem Weg. Wie entschuldigend gegenüber den Genossen heißt es in einer Anmerkung an eher versteckter Stelle: »Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei nochmals darauf hingewiesen, daß wir dieses Konzept (des Totalitarismus, E. V.) aus seinem ideologischen Kontext der fünfziger Jahre lösen und an ihm festhalten, weil und soweit es die Zerstörung der öffentlichen Sphäre und die Abschaffung der Meinungsvielfalt zugunsten einer Einheitsmeinung bezeichnet, die sich als privilegiertes Wissen geriert und als Ideologie die Ausübung rechtloser Gewaltherrschaft rechtfertigen soll.« 50 Gehört Hannah Arendts Totalitarismus-Konzept denn auf einmal nicht mehr in den »ideologischen Kontext der fünfziger Jahre«? Es ist klar, warum die Autoren sich mit einer gut gemeinten, sehr weichen Bestimmung des Totalitarismus-Konzepts begnügen wollen. Die harte Bestimmung dieses Konzepts bei Lefort ebenso wie bei Hannah Arendt ist durch einen politischen Index qualifiziert, und wie der Teufel das Weihwasser scheut die Linke die Auseinandersetzung um einen integren Begriff des Politischen - ohne ihn freilich vermeiden zu können. Als nicht akzeptierter Begriff beirrt er daraufhin ständig das Denken der Linken.
Bei diesem Autorenkollektiv macht sich das unter anderem darin bemerkbar, daß sie Hannah Arendt, deren Denken sie ständig als ihr Paradigma vorzeigen, ausschließlich in ihrem enthusiastischen Spontaneismus des politischen Handelns aufgreifen. Alle damit nicht ohne weiteres in Einklang zu bringenden Momente, die im Denken von Hannah Arendt ein Gegengewicht - vielleicht kein ausgewogenes, aber eines, das keineswegs außer acht gelassen werden darf - gegen ihren zweifellos vorhandenen Spontaneismus bilden, werden dagegen nicht in Betracht gezogen, so nicht ihr starker Konstitutionalismus, der sie von der »Heilkraft menschlicher Institutionen« sprechen läßt. 51 Die mit diesem Konstitutionalismus zusammengehörigen Konzepte der Meinungspluralität und der politischen Urteilskraft machen zentrale, vollkommen unverzichtbare Momente ihres Verständnisses des Politischen aus, auch wenn es ihr nicht gelungen ist, sie mit dem Spontaneismus ihres Handlungsbegriffs auszusöhnen. 52 Im Buch des Autorenkollektivs bleiben dann nur Momente des Arendtschen Handlungsenthusiasmus stehen, und sie weiten ihn eben wegen der mangelnden Gegengewichte in einer Weise aus, die mit dem Denken von Hannah Arendt inkompatibel ist. Sie stellen nämlich auch noch die Verfassungsgrundlagen zur Disposition einer permanenten Verflüssigung, was bei Hannah Arendt ausgeschlossen ist.
Während sie die »im Anschluß an Hannah Arendt entwickelte Idee einer auf Dauer gestellten Gründung öffentlicher Freiheiten und dynamisierten Verfassungs(gesetz)gebung« 53 favorisieren und davon sprechen, daß »eine solche Verfassung kein Haus (baut), in dem sich die Freiheit gänzlich sicher fühlen kann, sondern öffentliche Foren (garantiert), die von der Freiheit erst noch in Besitz genommen und durch Handeln ausgefüllt werden müssen«, 54 hält Hannah Arendt unverdrossen an der klassischen Metapher fest: »entscheidend ist, daß in einer Republik sich dieses Leben (das politische Leben des Volkes, E. V.) mit seinen wechselnden Beschlüssen im Rahmen und im Einvernehmen mit einer Verfassung abspielt, die ihrerseits von dem Nationalwillen und den wechselnden Majoritäten so wenig abhängt, wie etwa ein fertiges Gebäude von dem Willen des Architekten oder seiner Bewohner abhängig ist.« 55 Für Hannah Arendt jedenfalls gibt es keinen Gegensatz zwischen Haus und Forum.
Auch bei ihrer Rühmung des Zivilen Ungehorsams, den sie mit einer extralegalen Prämie der Legitimität versehen, können sie sich schlecht auf Hannah Arendt berufen, denn diese beansprucht, allerdings ausschließlich für den amerikanischen Fall, einen verfassungsmäßigen Ort für ihn: »a constitutional niche for civil disobedience«. 56 Ob das durch die US-Verfassung allerdings gedeckt ist, bleibe dahin gestellt. Auf jeden Fall findet sich bei ihr eine gänzlich andere Konstellation des Verhältnisses von (politischer) Legitimität und (rechtlicher) Legalität als die, durch die das progressive Denken sich ständig beirren läßt. 57 Ebensowenig geht es an, ihr Denken einfach unter die linke Auslegung des Konzepts der Zivilgesellschaft zu subsumieren, wie die Autoren das versuchen. In dieser Auslegung bleibt die lebensweltliche Zivilgesellschaft außerhalb einer entfremdeten und entfremdenden politischen Sphäre, und im besten Fall kommen zwei Begriffe des Politischen zustande, die in einem antagonistischen Verhältnis zueinander stehen. 58 Hannah Arendt hat stets für ein ganzheitliches Verständnis des Politischen plädiert.
Die ohne Gegengewicht bleibende Romantisierung des emphatischen Handlungsverständnisses von Hannah Arendt zieht die Linken augenscheinlich unwiderstehlich an. Auf dem Umschlag einer aus gleicher Herkunft geschriebenen französischen Dissertation ist ein Porträt von Hannah Arendt zu sehen, und aus ihren in der Tat widerborstigen Haaren wachsen die Barrikadenstürmer hervor. 59 Mit der gleichen Einseitigkeit ist ein anderes Buch verfaßt, 60 in dem ohne besonderes Eingehen etwa auf andere Auslegungsmöglichkeiten allein dieser Strang weitschweifig ausgebreitet wird.
Hannah Arendt hat kein in sich widerspruchsfreies theoretisches System geschaffen, und sie läßt sich nicht auf eine einmalige Eindeutigkeit festlegen. Man muß die oft gewollte Provokation aufnehmen und sich von ihr anstoßen lassen. Ihre Besorgnis galt der Aufstellung eines integren Begriffs des Politischen angesichts der Erfahrung mit der totalen politischen Unpolitik der totalitären unpolitischen Politik. Diese Erfahrungen dienten ihr dazu, für ihr politisches Denken zur Grundlage zu machen, »alle veralteten politischen Differenzierungen von rechts bis links zu entwerten und neben und über sie den politisch wesentlichsten Maßstab für die Beurteilung von Ereignissen in unserer Zeit einzuführen, nämlich: ob sie einer totalen Herrschaft dienen oder nicht.« 61 Zur Heldin einer romantisch verklärten unentfremdeten Bewegungspermanenz taugt sie wenig.


Fußnoten:

  • 1 Zuerst erschienen in: Neue politische Literatur, Heft 3, 1993 Zurück

  • 2 J. Habermas, Nachholende Revolution und linker Diskursbedarf, Was heißt Sozialismus heute?, in: Ders., Die nachholende Revolution, Kleine Politische Schriften VII, Frankfurt am Main 1990, S.188.Zurück

  • 3 O. Kallscheuer, Der verweigerte Dialog, Hannah Arendt und die europäischen Intellektuellen, in: P. Kemper (Hrsg.), Die Zukunft des Politischen, Ausblicke auf Hannah Arendt, Frankfurt am Main 1993, S.142-179. Die »Verweigerung« betrifft natürlich nicht »die« Intellektuellen, sondern eben nur die »Linke«, die sich allerdings gerne mit den Intellektuellen schlechthin identifiziert. Zurück

  • 4 H. Dubiel, Hannah Arendt and the Theory of Democracy, A Critical Reconstruction, in: P. Graf Kielmansegg u. a. (Eds.), Hannah Arendt and Leo Strauss, German Emigrants and American Political Thought after World War II, Cambridge University Press.Zurück

  • 5 Das bezieht sich auf: Helga Grebing, Linksradikalismus gleich Rechtsradikalismus, Eine falsche Gleichung, Stuttgart 1971. Zurück

  • 6 M. Th. Greven, Hannah Arendt - Pluralität und die Gründung der Freiheit, in: P. Kemper (Hrsg.), Die Zukunft des Politischen, S. 88 f. Zurück

  • 7 Bisher sind erschienen: Hannah Arendt, Zur Zeit, Politische Essays, hrsg. M. L. Knott, Berlin 1986 (Rotbuch); Dies., Nach Auschwitz, Essays und Kommentare 1, hrsg. von E. Geisel/K. Bittermann, Berlin 1989 (Bittermann); Dies., Die Krise des Zionismus, Essays und Kommentare 2, hrsg. von E. Geisel/K. Bittermann, Berlin 1989 (Bittermann); Dies., Israel, Palästina und der Antisemitismus, hrsg. von E. Geisel/K. Bittermann, Berlin 1991 (Wagenbach). Zurück

  • 8 G. Lukács/J. R. Becher/F. Wolf u. a., Die Säuberung, Moskau 1936: Stenogramm einer geschlossenen Parteiversammlung, hrsg. von R. Müller, Reinbek b. Hamburg 1991. Die Arendt-Stelle, auf die sich der Herausgeber bezieht, steht in: Elemente und Ursprünge totaler Henschaft, Frankfurt am Main 1955, S. 738. Zurück

  • 9 H.-J. Benedict, Totalitarismus und Imperialismus im Jahre l967, Fragen von Hannah Arendt, in: H.-E. Bahr (Hrsg.), Weltfrieden und Revolution, Neun politisch-theologische Analysen, Reinbek b. Hamburg 1968, S. 95-105. Zurück

  • 10 M. Jay, The Political Existentialism of Hannah Arendt, in: M. Jay/L. Botstein, Hannah Arendt: Opposing Views, in: Partisan Review 45 (1978), S. 348-368. Zurück

  • 11 In: J. Habermas, Theorie und Praxis, Sozialphilosophische Studien, Neuwied/Berlin 1963. Dieses Anerkenntnis ist jedoch nachträglich und findet sich erst in der 4. Auflage 1971, S. 84. Zurück

  • 12 J. Habermas, Die Geschichte von den zwei Revolutionen, in: Merkur 20 (1966), Nr. 218, S. 479-483, jetzt in: Ders., Philosophisch-politische Profile, 3. Auflage, Frankfurt am Main 1981, S. 223-228. Dabei spielt Habermas' hegelmarxistische Verkennung der Prinzipien des anglo-amerikanischen Denkens eine Rolle, dessen politische Apperzeption sich Hannah Arendt zu eigen gemacht hat: Das Politische ist nicht auf die Objektivität von Ideen, sondern auf die mundan-plurale Interpersonalität von Meinungen gegründet. Zwar hat sich Habermas später mehrfach zur westlichen politischen Kultur in ihrer amerikanischen Ausprägung bekannt: »Ich habe tatsächlich Präferenzen für eine politische Kultur, die, wie die amerikanische, aus dem 18. Jahrhundert stammt« (J. Habermas, Die neue Unübersichtlichkeit, Kleine Politische Schriften V, Frankfurt am Main 1985, S. 218, s. a.: S. 54). Aber er bleibt ein Rousseauist. Zurück

  • 13 H. Arendt, Vita activa - Oder vom tätigen Leben, München 41985, S. 15 f. Zurück

  • 14 H. Arendt, Freiheit und Politik, in: Die neue Rundschau 69 (1958), S. 690 f. Zurück

  • 15 J. Habermas, Hannah Arendt's Communications Concept of Power, in: Social Research 44/1 (1977), 3-24; deutsch (als Hannah Arendts Begriff der Macht) zuerst in: Merkur 30 (1976), Nr. 341, S. 946- 961, jetzt in: Ders., Philosophisch-politische Profile, S. 228-248. Habermas wiederholt seine Interpretation öfter, so auch in: Alfred Schütz, Die Graduate Faculty der New School of (sic) Social Research, jetzt in: Philosophisch-politische Profile, S. 402-410. Dieser Text hat es mehr mit Hannah Arendt als mit Schütz zu tun, und er ist einer der wenigen, in denen sich Habermas auf das Zentrum der Arendtschen Theorie des Politischen, ihre Inanspruchnahme von Kants Kritik der Urteilskraft, ein wenig einläßt. Zurück

  • 16 M. Canovan, A Case of Distorted Communication, A Note on Habermas and Arendt, in: Political Theory 11 (1983), S. 107 f. Zurück

  • 17 Dazu auch: J.M. Fehry, Habermas critique de Hannah Arendt, in: Esprit (n. s.) 4 (1980), nr. 42, S.109-124; S. Benhabib, Models of Public Spaces: Hannah Arendt, the Liberal Tradition, and Jürgen Habermas, in: C. Calhoun (ed.), Habermas and the Public Sphere, MIT Press 1992, S. 73-98; dt.: Modelle des öffentlichen Raums: Hannah Arendt, die liberale Tradition und Jürgen Habermas, in: Soziale Welt 43 (1991), S. 147-165. Miss Benhabib bevorzugt Habermas'sche Begriffe einer kommunikativen Öffentlichkeit. Sie weiß aber, daß der, wie sie es nennt, Arendtsche Begriff einer antagonistischen Öffentlichkeit sich davon unterscheidet. Zurück

  • 18 J. Habermas, Faktizität und Geltung, Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, Frankfurt am Main 1992. Zurück

  • 19 Mit einer Anmerkung verweist Habermas hier auf die Vita activa und auf seinen zitierten Aufsatz über »Hannah Arendts Begriff der Macht«. Zurück

  • 20 J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 182 f. Zurück

  • 21 H. Arendt, Über die Revolution, München 1965, S. 96. Zurück

  • 22 Ibid., S. 204 f. Zurück

  • 23 Zunächst hieß es: »Wenn die Wahrheitsfähigkeit praktischer Fragen zwingend bestritten werden könnte, wäre die von mir vertretene Position unhaltbar« (J. Habermas, Legitimitätsprobleme im Spätkapitalismus, Frankfurt am Main 1973, S. 139 f.); dann, als diese These sich schlechterdings nicht mehr aufrecht erhalten ließ, sprach Habermas von dem wahrheitsanalogen Geltungsanspruch normativer Aussagen, wobei niemals erklärt wurde, worin diese Analogie bestehen soll. (J. Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, Frankfurt am Main 1983, S. 66). Auch im Hinblick auf ihre Beurteilung der Rolle von Wahrheit im Bereich des Praktisch-Politischen sind die Positionen von Hannah Arendt und Habermas einander diametral entgegengesetzt. Zurück

  • 24 M. A. Hill, Jürgen Habermas: A Social Science of the Mind, in: Philosophy and Social Science 2 (1972), S. 247-259. Zurück

  • 25 Ibid., S. 257. Zurück

  • 26 Ibid., S. 255. Zurück

  • 27 M. Canovan, A Case of Distorted Communication. ( wie Anm. 15) Zurück

  • 28 Ibid., S. 108. Zurück

  • 29 Ibid., S. 112. Zurück

  • 30 The Federalist, ed. J. E. Cooke, Wesleyan UP 1961 u. ö., Nr. 50, 346 (James Madison); zur Interpretation: E. Vollrath, That all Governments Rest on Opinion, in: Social Research 43/3 (1976), S. 46-61. Zurück

  • 31 H. Arendt, Über die Revolution, bes. S. 290. Zurück

  • 32 G. A. Heather/M. Stolz, Hannah Arendt and the Problem of Critical Theory, in: Journal of Politics 41 (1979), S. 2-22. Zurück

  • 33 Ibid., S. 21. Zurück

  • 34 J. Forester, Hannah Arendt and Critical Theory, A Critical Response, in: Journal of Politics 43 (1981), S. 196-202. Zurück

  • 35 Reply to Professor Forester, in: Ibid., S. 203-207. Zurück

  • 36 M. Jay/L. Botstein, Opposing Views, in: Partisan Review 45 (1978), S. 348-380. Zurück

  • 37 Ibid., S. 379. Zurück

  • 38 M. Jay, Hannah Arendt und die Ideologie des Ästhetischen, in: Die Zukunft des Politischen, S. 119-141. Zurück

  • 39 R. J. Bernstein, Beyond Objectivism and Relativism: Science, Hermeneutics, and Praxis, Oxford 1981, passim; Ágnes Heller, An Imaginary Preface to the 1984 Edition of Hannah Arendt's The Origins of Totalitarism, in: R. Schürmann (ed.), The Public Realm, Essays on Discursive Types in Political Philosophy, State University of New York Press 1989, S. 253-267. Beide sind an der gleichen Institution tätig wie Hannah Arendt. Zurück

  • 40 Siehe das Sonderheft 21 (1993) Les illusions perdues, mai 68-mai 93 von Les cahiers de L'Express. Zurück

  • 41 R. Aron, L'essence du totalitarisme selon Hannah Arendt, in: Critique, Januar 1954. Generell: O. Mongin, La réception d'Arendt en France, in: Ontologie et politique, Actes du Colloque Hannah Arendt, Collection Littérales II, 1989, S. 7-13. Zurück

  • 42 Es liegen zwei Aufsatzsammlungen vor, auf die Bezug genommen wird: Cl. Lefort, L'invention démocratique, Les limites de la domination totalitaire, Paris 1981; und: Ders., Essais sur le politique, XIXe-XXe siècles, Paris 1986. Zurück

  • 43 Lefort beklagt das geringe Verständnis von Hannah Arendt für die politische Qualität des Repräsentationsphänomens: Hannah Arendt et la question du politique, in: Ders., Essais (wie Anm. 41 ), 71. Zurück

  • 44 Cl. Lefort, La question de la démocratie, in: Ders., Essais, S. 23. ähnlich: Ders., La logique totalitaire und L'image du corps et le totalitarisme, in: Ders., L'invention, S. 85 ff. und S.159 ff. Zurück

  • 45 H. Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Frankfurt am Main 1955, S. 488. Zurück

  • 46 E. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs: eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, München 1990 (The King's two Bodies, A Study in Mediaeval Political Theology, Princeton 1957). Hübsch ist: Bei der Übernahme von Teilen der Konzepte von Lefort durch die deutschen Linken taucht der ehemalige Freikorpskämpfer und Mitglied des George-Kreises Ernst Kantorowicz als der links-progressive Literaturwissenschaftler Alfred Kantorowicz auf; nicht gerade ein Hinweis darauf, daß sie das von ihnen zitierte Buch über das Königs Doppelleib lange in der Hand gehalten haben (U. Rödel u. a., Die demokratische Frage, S. 205, Anm. 5). Es kann sich nicht um einen bloßen Druckfehler handeln, denn diese falsche Identifikation wird wiederholt: U. Rödel, Hannah Arendt und die Gefährdungen der Freiheit in einer säkularisierten politischen Ordnung, in: Die Ideen von 1789 in der deutschen Rezeption, hrsg. Forum für Philosophie Bad Homburg, Frankfurt am Main 1989, S. 221, Anm. 3). Es würde sich im übrigen lohnen, Ernst Kantorowicz' erstes Buch »Kaiser Friedrich der Zweite« von 1927 mit seinem zweiten in Bezug zu setzen. Das erste Werk ist ganz auf die georgianisch inspirierte Identifikation der Kaiserperson mit dem Kaisertum aufgebaut, während das zweite das Auftauchen des Konzepts der Differenzrepräsentation, also der modernen Gestalt des Politischen, anzeigt. Vgl. dazu: E. Vollrath, Identitätspräsentation und Differenzpräsentation, in: Rechtsphilosophische Hefte, Bd. 1, Recht und Moral, 1993, S. 65-78. Zurück

  • 47 Cl. Lefort, La question de la démocratie, S. 22. Auch diese Identitätsrepräsentation wird mehrfach angesprochen. Zurück

  • 48 U. Rödel/G. Frankenberg/H. Dubiel, Die demokratische Frage, Frankfurt am Main 1989. Der Titel ist von Lefort übernommen. Zurück

  • 49 J. Habermas, Nachholende Revolution, S. 197 mit der zugehörigen Anm. 9, die sich - ohne Namensnennung - auf das in der vorigen Anmerkung zitierte Buch bezieht, vor allem auf den dort gegen ihn vorgebrachten Einwand einer realpolitischen Konzession an Luhmann (dort S.155 f.). In diesen Kreisen schwört man zur Gesinnungsfahne. Zurück

  • 50 U. Rödel u. a., Die demokratische Frage, S. 205. Zurück

  • 51 H. Arendt, Über die Revolution, S. 226, s. a. S. 213, S. 294 u. ö. Zurück

  • 52 Die dafür bereitstehende Formel stammt von Cicero, wie überhaupt für Hannah Arendt das römische Exempel der res publica mindestens so paradigmatisch ist wie das griechische der polis (und für sie vereinigen sich in der amerikanischen Verfassung beide Exemplare unter den Bedingungen der Moderne): negue enim est ulla res in qua proprius ad deorum numen virtus accedat humana, quam aut condere civitates novas aut conservare iam conditas (De re publica I. 7.12). Hannah Arendt zitiert diesen Satz mit höchster Zustimmung: Über die Revolution, S. 259. Das Dilemma ist dies: Aus Akten positiver politischer Freiheit kann eine Verfassung der Freiheit hervorgehen, aber diese Verfassung kann Freiheit nur als negative garantieren. Könnte sie selbst positive Freiheit sichern, dann verlöre diese ihren Spontaneitäts-, d. h. ihren Freiheitscharakter. Der Spontaneismus des Handlungsverständnisses von Hannah Arendt ließe sich so verstehen, daß er dies genau einzuhalten versucht - er verlöre damit seine romantischen Züge, die er zweifellos bei ihr auch hat. Das linke Projekt dagegen ist der vergebliche Versuch, durch untaugliche Mittel, nämlich durch Reflexion und mit Theorie, Freiheit positiv erzeugen zu wollen. Es ist dann nicht verwunderlich, daß seine Realisation Freiheit endgültig abschaffen mußte. Zurück

  • 53 U. Rödel u. a., Die demokratische Frage, S.125. Zurück

  • 54 Ibid., S. 80, mit Verweis auf J. Seifert, Haus oder Forum; Wertsystem oder offene Verfassungsordnung, in: J. Habermas (Hrsg.), Stichworte zur Geistigen Situation der Zeit,1. Bd. Nation und Republik, Frankfurt am Main 1979, S. 321-339. Zurück

  • 55 H. Arendt, Über die Revolution, S. 213. Zurück

  • 56 H. Arendt, Civil Disobedience, in: Dies., Crises of the Republic, New York 1972, S. 83; dt.: Dies., Ziviler Ungehorsam, in: Dies., Zur Zeit, Politische Essays, S.143 f. Zurück

  • 57 H. Arendt,Über die Revolution, S. 208 ff. Zurück

  • 58 Das ist bei Habermas ausdrücklich der Fall: Ders., Faktizität und Geltung, S. 622. U. Rödel u. a. setzen sich dagegen zur Wehr, erteilen aber den dynamisierten Prozessen gleichfalls eine Legitimitätsprämie. Zur Problematik der Begriffe der Zivilgesellschaft: A. Sölter, Zivilgesellschaft als demokratie-theoretisches Konzept, in: Jahrbuch für Politik 3/I (1993), S.145-180. Zurück

  • 59 A. Enegrèn, La pensée politique de Hannah Arendt, Paris 1984. Zurück

  • 60 W. Heuer, Citizen, Persönliche Integrität und politisches Handeln, Eine Rekonstruktion des politischen Humanismus Hannah Arendts, Berlin 1992. Politischer Humanismus darf in bezug auf Hannah Arendt nicht in weicher Art verwendet werden, die politisch nichtssagend ist. Vielmehr muß ihr Denken präzise mit dem Civic Humanism des Machiavellian Moment zusammengebracht werden, einer politischen Denkungsart, die nicht zu den Traditionen des politischen Denkens in Deutschland gehört, von denen die Linke hier immer noch gefesselt ist. Hannah Arendt hat diese Denkungsart erst in der Emigration kennengelernt, und ihr Denken muß aus der Spannung verstanden werden, in der sich die Momente ihrer intellektuellen Herkunft aus der Tradition deutscher Kultur- und Geistesgeschichte und die Begegnung mit den ganz anderen Momenten der römisch-florentinisch-amerikanischen politischen Apperzeption befinden. Zurück

  • 61 H. Arendt, Elemente und Ursprünge, S. 649. Zurück


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